Fernando Alonso und George Russell kurz vor dem Zwischenfall - Quelle Twitter @f1

Für den Zwischenfall von George Russell und Fernando Alonso in der vorletzten Runde des Australien GP gab es eine 20 Sekunden-Strafe für den zweifachen Weltmeister. Dabei gab es zwischen den beiden nicht mal eine Berührung, sondern lediglich den Vorwurf von “irritierender” Fahrweise, da Fernando Alonso für Kurve 6 merklich früher, und in Summe zweimal, abgebremst hat. George Russell war dadurch näher am Aston Martin als erwartet, verlor in der Dirty Air sein Fahrzeug und musste das Rennen vorzeitig in der Leitplanke beenden. Im Folgenden geht es um meine Meinung zu diesem Thema. Wenn man den Vorfall anders bewertet, ist das natürlich vollkommen fein.

War das ein Brake Check?

Das Verhalten eines Fahrers auf der Strecke kann und sollte anders bewertet werden, je nachdem, unter welchen Umständen es stattfindet. Schlangenlinien zu fahren, ist beispielsweise nicht in Ordnung, wenn man unmittelbar vor einem Gegner fährt. Zum Aufwärmen der Reifen nach einem Boxenstopp, geht das aber in Ordnung – zumindest, wenn sich kein Fahrer unmittelbar um einen herum befindet.

Ähnlich verhält sich das mit dem Thema “Brake Test” bzw. “Brake Check” – oder zu deutsch “Bremstest”. Dieser liegt vor, wenn man durch ein oder mehrere abrupte Bremsmanöver eine Kollision oder ein Ausweichmanöver provoziert. Alonso hat mehrfach unerwartet angebremst, doch letztlich war der Abstand zu groß, damit ein Ausweichmanöver vonnöten gewesen wäre. Es war selbst nach den Bremsmanövern stets mehr als eine Wagenlänge zwischen den Fahrzeugen, also Puffer für Russell, dass er nicht ausweichen muss und auch nicht kollidiert. Ein Brake Check liegt für mich also nicht vor.

Dennoch hat Alonso durch seine Fahrweise in just diesem Moment das Fahrverhalten des Mercedes beeinflusst. Ein Fahrzeug hat weniger Abtrieb, je näher es hinter einem anderen Fahrzeug herfährt. Und genau das dürfte der Katalysator für Russells Fehler in der Kurve 6 gewesen sein. Doch ist es Alonsos “Schuld”, wenn der ohnehin schwer zu verstehende Mercedes in genau diesem Moment unkontrollierbar wird, weil ihm der Abtrieb fehlt? Meiner Meinung nach nicht.

Verteidigen in der Formel 1

Ich erachte es als legitimes Manöver, mit ausreichendem Abstand auch vor der Kurve vom Gas zu gehen oder früher zu bremsen. Das kann einerseits eine Taktik sein, um Sprit zu sparen – so genanntes Lift & Coast – oder um eine Kurve anders zu fahren, damit man selbst mehr Schwung aus einer Kurve mitnimmt, bzw. der Gegner mit weniger Schwung aus der Kurve rauskommt. Letzteres liegt hier vor. Eine Strafe gab es in diesem Fall vermutlich nur, weil Russell das Auto verloren hat und in die Leitplanke eingeschlagen ist, was jedoch der fehlenden Antizipation von Russell geschuldet ist. Er war von dem Moment überrascht und hat nicht erwartet, so nah an Alonso dran zu sein.

Vergleichbare Situationen in der F1

Als die Diskussion um eine mögliche Strafe gegen Alonso aufkam, wurde der Begriff Brake Check oft in den Raum geworfen. Auf Basis dessen habe ich den Zwischenfall mit Saudi Arabien 2021 vergleichen wollen, als Max Verstappen durch einen Brake Check tatsächlich eine Kollision mit Lewis Hamilton provozierte. Jedoch finde ich den Vergleich nach reichlicher Überlegung nicht passend, immerhin sehe ich Alonsos Manöver nicht als klassischen Brake Check. Es war eher “erratic driving”, wovon auch die Stewards in ihrem Urteil sprechen – also unberechenbares Fahren. Das liegt hier zweifelsohne vor, denn Alonso hat die Kurve bewusst langsamer genommen als zuvor.

Damit wir eine vergleichbare Situation müssen wir gar nicht so weit in die Vergangenheit reisen. Denn nur ein Rennen vorher, also in Saudi Arabien 2024, hat Kevin Magnussen die Aufgabe vom Team erhalten, bewusst langsamer zu fahren, um für Nico Hülkenberg eine ausreichend große Lücke herauszufahren, damit dessen alternative Strategie funktioniert. Magnussens Verteidigung war teils grenzwertig und wurde auch bestraft, doch für das reine langsamer Fahren gab es keine Strafe – aus meiner Sicht zurecht.

Auch 2021 bietet eine vergleichbare Situation, nämlich beim Finale in Abu Dhabi. Sergio Perez, der seither als “Minister of defense” aus Mexiko gefeiert wird, hielt Lewis Hamilton durch absichtliches langsames Fahren auf, sodass Max Verstappen die entstandene Lücke zufahren konnte. In nur einer Runde fuhr Perez so langsam, dass Hamilton 6,3 Sekunden zu Verstappen verlor – davon 3,7 Sekunden im dritten Sektor. Diese Sekunden fehlten Hamilton am Ende zu einem positionsverlustfreien Boxenstopp, nach dem er Verstappen vermutlich hätte abwehren können. Auch Ralf Schumacher kommentiert die Defensive von Perez als “clever” und meint, man dürfe das. Da schließe ich mich uneingeschränkt an.

Wie bestrafen die FIA Stewards?

Die Strafe für Alonso wird auch mit den Folgen des Manövers begründet. Das ist jedoch eher unüblich, da in der Vergangenheit oft betont wurde, man würde die Strafen am Vergehen messen und nicht daran, was aus dem Vergehen resultiert. Jedoch habe ich das Gefühl, dass die Stewards zu diesem Thema noch keine klare Linie gefunden oder auferlegt bekommen haben. Nimmt man den Crash von Silverstone 2021, bei dem Verstappen heftig in die Leitplanke einschlug, hätte man mit Leichtigkeit für mehr als nur 10 Strafsekunden gegen Hamilton plädieren können. Wann und ob die Maxime gilt, dass Strafen nicht mit dem Ergebnis eines Manövers, finde ich mittlerweile sehr intransparent.

Dürfen Formel 1-Fahrer nun frei taktieren?

Das Rennen von Abu Dhabi 2021 liegt zwar über 2 Jahre in der Vergangenheit und die Maßstäbe könnten sich seitdem verändert haben. Doch Magnussens Defensive in Saudi Arabien zeigt, dass die Beurteilung von absichtlich langsameren Fahrens sich nicht allzu sehr verändert haben kann. Wäre Russell nicht kollidiert, hätte Alonso keine Strafe erhalten. Dass die Schuldfrage bei Alonso besteht, während sie bei Magnussen nie aufkam und Perez für seine Verteidigung gar gefeiert wurde, liegt daran, dass die Gegner von Perez und Magnussen smarter und aufgeweckter reagiert haben als der von Alonso. Mein Fazit zu diesem Thema ist daher einfach. Russell hat gepennt, die Situation nicht richtig antizipiert und einen Fehler gemacht. Passiert. Mund abwischen und weitermachen. Immerhin kommen noch 21 Rennen.

Meine Meinung zum F1 Australien GP 2024 gibt’s auch in Videoform